Seite 51
Informationsblatt 26 Februar 2015
Beiträge und Berichte
Paul Schliemann
Eine Geschichte
1
1
Obwohl die Klassiker mehr oder weniger aus unserer Welt
verschwunden sind, kennt doch fast ein jeder noch die Namen
Troia und Atlantis. Beinahe jeder Mensch weiß auch heute
noch, dass Troia unzertrennlich mit Schliemann verbunden
ist. Aber nur wenige wissen, dass auch der verlorene Konti-
nent eine Verbindung mit diesem Namen hat.
2
Bekanntlich liebte Heinrich Schliemann eine gute Geschich-
te. Weil aber nicht alles, was er über sein Leben erzählt hat,
stimmt, spricht man hin und wieder von einem „Schliemann-
Mythos“. Nun haben Mythen die Gewohnheit, sich stets wei-
terzuentwickeln, und so ist dieser Mythos nach Schliemanns
Tod 1890 weiter angewachsen.
Aber auch die Geschichte von Atlantis ist seit Platons erster
Erwähnung im 4. Jh. v. Chr. über Jahrhunderte hinweg stets
gewachsen. Immer wieder gab es Leute, die sich auf die Su-
che nach dem einstigen „Kontinent“ machten. Immer wieder
gab es Leute, die sogar wussten, wo Atlantis einst lag. Im Jah-
re 1911 z. B. meinte Leo Frobenius, dass er es in Nigeria ge-
funden habe. 1912 rüstete Bernard Meekham eine Expedition
aus, um es an der Küste von Yukatan zu suchen.
Als die Leser von
The New York American
am 20. Oktober
1912 ihre Zeitung aufschlugen, sahen sie, dass ein Dr. Paul
Schliemann den legendären Kontinent gefunden hat. Diese
Zeitung gehörte William Randolf Hearst (1863-1951). Dieser
wies u. a. seine Journalisten an, schockierende Nachrichten
zu bringen, um die Leser zu begeistern. Und nun stand hier:
„How I found Atlantis“
(Wie ich das verlorene Atlantis, die
Quelle aller Zivilisation, wiederfand).
In diesem erstaunlichsten „wissenschaftlichen Bericht“, der
jemals veröffentlicht worden ist, erzählt der „Enkel“ des
Troiaausgräbers, weshalb er glaubt, dass er das größte Rätsel
der Welt enträtselt hat.
Als Heinrich Schliemann 1873 den „Schatz des Priamos“ fand,
war darunter auch eine Bronzevase, die einige Objekte mit ei-
ner Inschrift in „phönizischen Hieroglyphen“ enthielt, worin
erzählt wird, dass diese Gegenstände dem König Chronos von
Atlantis gehörten. Über diese Entdeckung sprach Schliemann
nicht. Ebenso wenig über die Entdeckung einer Inschrift über
Atlantis, die er während seiner Ausgrabung am Löwentor von
Mykene fand. Forthin fand er weitere Hinweise für die Existenz
1 Anm. d. Redaktion: Der uns auf Deutsch zugesandte Artikel unseres nie-
derländischen Freundes Wout Arentzen wurde sprachlich behutsam ge-
glättet. Sollten sich dadurch Fehler eingeschlichen haben, gehen sie auf
Kosten der Redaktion. Ein Gegenlesen des Autors war vor Erscheinen des
Heftes leider nicht möglich.
2 Anm. d. Redaktion: „Schliemanns angebliche Suche nach Atlantis“war The-
ma des 28. Sonntagsvortrags des Museumsleiters am 7. August 2005. Für
R. Witte ist „Atlantis“ kein geographisches, sondern ein philosophisches
Problem. Platon wollte uns in seinen Dialogen „Timaios“ und „Kritias“
einen Idealstaat schildern, der letztlich an Hybris zerbricht.
dieses untergegangenen Kontinents. Am Ende seines Lebens
verstand er aber, dass er keine Zeit mehr hatte, um den ab-
soluten Nachweis dafür zu erbringen. Kurz vor seinem Tod
packte er alle Hinweise zusammen und hinterließ sie demVer-
wandten, der sein Leben dieser Nachforschung widmen wür-
de. „Enkel“ Paul nahm diese Herausforderung an. Er grub in
Ägypten, er grub in Mexiko, und er untersuchte den Meeres-
boden vor der Küste von Westafrika. Nach sechs Jahren war er
sich sicher, dass er Atlantis gefunden hat, und auf Anfrage der
Zeitung gab er einen Zwischenbericht. Alle Beweise würde
er später in einem Buch, an dem er arbeitete, veröffentlichen.
Diese phantastische Geschichte ging rund um die Welt und
fing an, sich weiter auszubreiten. Als sie am 18. Dezember
1912 in Neuseeland im
Asburton Guardian
erschien, wurde
klar, dass Dr. Paul Schliemann nicht nur nach Atlantis gesucht
hat, sondern nun auch wusste, wo es gelegen hat und was es
bedeutete. Atlantis war vergleichbar dem Asgard (Wohnort
des Göttergeschlechts) der Normannen, des Tír na nÓg („Land
der Jugend“) der Kelten oder mit dem Paradies der Bibel. Die
Geschichte von der Sintflut ist die Geschichte des Untergangs
von Atlantis. Der verlorene Kontinent war die Grundlage aller
Zivilisation, der Bereich wo die Europäer herkamen.
Die
Toronto World
vom 9. Februar 1913 ging noch einen
Schritt weiter. Wenn das Buch von Dr. Paul Schliemann er-
scheinen würde, wäre es ein noch größerer Schock für die
Kirche als Charles Darwins
Origin of Species
.
Paul Schliemanns Erzählung wurde so geläufig, dass Donald
A. Mackenzie (1873-1936) sich im Jahre 1917 gezwungen
fühlte, auch etwas darüber zu sagen, in seinem
Myth of Cre-
te and Pre-Hellenic Europe
. Wenn diese phantastische Ge-
schichte stimmte, weshalb hatten dann nur die beiden „Schlie-
mann“ Spuren von dieser Zivilisation gefunden?
Aber Dr. Paul Schliemanns Buch erschien nicht, was aber
keineswegs bedeutete, dass er aufgehört hatte, zu publizieren.
Am 23. November 1913 erschien wieder ein Artikel von ihm
in
The New York American
:
„Markantere Musikinstrumente und Orchestrierungen,
die wir haben und das ungeschriebene Gesetz,
dass Primadonnen Selbstmord auf dem Höhepunkt ihres
Ruhmes zu begehen haben“ von
Dr. Paul Schliemann,
dem berühmten Archäologen, Forscher und Sohn
des Entdeckers des antiken Trojas.
Paul Schliemann hatte wieder zu Sais in Ägypten gegraben.
Diesmal fand er eine große Sammlung von Musikinstrumen-
ten und einen dazugehörigen Papyrus. Damals hätte es mehr
Musikinstrumente in einem Orchester als heute gegeben.
Auch wäre die Musik weiter entwickelt gewesen, als die heu-
tige. Nur Jean Sibelius (1865-1957) käme in die Nähe davon.
Neben den Musikern und Tänzern traten auch Tiere mit ihren
eigenen Soli auf.