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Seite 65

Informationsblatt 25 Dezember 2013

Mitteilungen der Gesellschaft

Geboren wurde er in Neubukow. Seine Kindheit verbrachte er in

Ankershagen, zur Schule ging er in Neustrelitz, seine kaufmän-

nische Lehre beendete er in Fürstenberg an der Havel. Er war

also ein Mecklenburger, ein junger Norddeutscher von damals

19 Jahren mit einem sehr eigenen Kopf und festen Vorstellun-

gen. Und doch: Heinrich Schliemann wollte hinaus aus der Enge

Mecklenburgs. Er wollte weg aus seiner Familie, deren Ruf sein

Vater als Wüstling beschmutzt hatte, fort aus dem sozial stigma-

tisierten Pfarrhaus. Über Rostock und Hamburg verschlug es ihn

durch unglücklich-glückliche Umstände nach Amsterdam – eine

Sternstunde für die sich zur Wissenschaft entwickelnde Archäo-

logie. Hier in den Niederlanden begann Schliemann sich als ein

neuer Mensch zu formieren, bestrebt, gesellschaftlich aufzustei-

gen, was jedoch ohne Fremdsprachenkenntnisse unmöglich war.

Russisch wurde für ihn zu jenem Tor, durch das er in eine Welt

eintrat, die ihm bisher verschlossen war. Schritt für Schritt entwi-

ckelte er sich, regionale und nationale Beschränktheit hinter sich

lassend, zu einem Europäer und Weltbürger.

Auf Amsterdam folgten St. Petersburg, Moskau, verschiedenste

Reisen durch Europa, Nordafrika, Asien bis Japan, San Fran-

cisco, Genf, Paris, London, Athen, wo er eine zweite Familie

gründete. Zum Fixpunkt seines Lebens aber wurde der Hügel

Hisarlık unweit der Dardanellen, wo er das sagenhafte Troja

nicht nur vermutete, sondern es auch fand, so seine Überzeu-

gung: Hic est Troia.

All diese Lebensstationen Schliemanns, seine weiteren Grabun-

gen in Mykene, Tiryns und Orchomenos, die Bekanntschaften

mit berühmten Männern seiner Zeit, darunter Rudolf Virchow,

der sensationelle Fund des so genannten Schatzes des Priamos,

der letztlich dem deutschen Volke zur Aufbewahrung in der

Hauptstadt Berlin geschenkt wurde und dessen weiteres Schick-

sal, Schliemanns Pläne, Irrtümer und Verdienste finden sich in

der neuesten Biographie dieses herausragenden Mannes wider-

gespiegelt und kenntnisreich dargestellt. Verfasst worden ist sie

von Reinhard Witte, dem Leiter des Heinrich-Schliemann-Mu-

seums in Ankershagen. Er ist heute der wohl bestinformierteste

Fachmann, das Leben undWerk Schliemanns betreffend, und der

diesen zum wirklichen Archäologen gereiften einstigen Dilettan-

ten weder über alles Maß emporhebt, noch ihn „absockelt“, der

Goldgräberei bezichtigt oder als pathologischen Lügner abstem-

pelt. Er lässt Schliemann dort, wo er hin gehört – in seiner Zeit

mit ihren Besonderheiten, verankert ihn in jenem wissenschaft-

lichen Prozess, in dessen Verlauf aus den Anfängen der Archäo-

logie die Wissenschaft des Spatens wurde, und er zeichnet ein

reales Bild dieses durchaus egomanischen Mannes.

Schliemann, das sei noch einmal betont, war ein Weltbürger. Als

Russe, zuerst imAuftrag seines Amsterdamer Arbeitgebers, wur-

de er ein erfolgreicher Kaufmann und einer der reichsten Män-

ner Europas, als Amerikaner begann er auf dem Hügel Hisarlık

zu graben. Beständig lernend und sich über die Fortschritte in

der Archäologie informierend, widmete er sich ganz der home-

rischen Zeit und darin eingebettet der trojanischen Frage. Dass

er bei seiner Grabungsarbeit Fehler machte, sich oftmals vorei-

lig zu seinen Funden äußerte und sich damit der Lächerlichkeit

preisgab, wird vonWitte kritisch angemerkt. Andererseits jedoch

betont er die großartige Leistung Schliemanns, der die Weltge-

schichte, insbesondere die antike Geschichte Griechenlands, um

eine bis dahin unbekannte historische Epoche ergänzte: die Prä-

historie des griechischen Altertums, das nicht erst mit Homer,

sondern anderthalb Jahrtausende früher seinen Anfang nahm.

Schliemann war sich seiner Leistung wohl bewusst, und diese

Leistung verlangte nach einer entsprechenden Selbstdarstellung,

nach jenem biographischen Abriss, den er 1881 seinem Buch

„Ilios. Stadt und Land der Trojaner“ voranstellte. Schliemanns

Selbstinszenierung sollte ihm nicht verübelt und ihm nicht als

charakterliche Schwäche angerechnet werden. Selbstinszenie-

rungen waren üblich und sind es heute noch. Fast jeder popelige

deutsche Politiker tut es gegenwärtig, ohne etwas Vernünftiges

vollbracht zu haben. Schliemann jedoch ging noch einen Schritt

weiter, denn jede gute Selbstinszenierung bedarf eines Allein-

stellungsmerkmals, und so erfand Schliemann mit vorausschau-

ender Absicht seinen wirkungsmächtigen „Traum von Troja“,

der den meisten Schliemann-Biographen lange die Sicht auf die-

sen ungewöhnlichen Menschen vernebelte und den es, und Witte

sieht es ebenso, in solch strikter Folgerichtigkeit nicht gegeben

hat.

Vom Rezensenten ist hier anzumerken, dass Schliemanns Leis-

tung als Ausgräber und Popularisator seiner Funde weit über

die eigene Selbstinszenierung hinausreicht, die daher als eine

Marginalie, wenngleich zeitgeschichtlich interessante und in ge-

wissem Grade auch romantische, betrachtet werden sollte. Und

mit dieser seiner Leistung gehört er in die Walhalla deutschen

Gedächtnisses.

Schliemann blieb – neben seiner Arbeit als Archäologe – immer

auch Kaufmann und Börsenspekulant. Das Außergewöhnliche

dabei war, dass er einen Großteil seines Geldes für seine Grabun-

gen verausgabte und letztlich einem bis heute greifbaren gemein-

nützigen Zweck zuführte. Schliemann arbeitete erfolgsorientiert.

Blieben Erfolge aus, konnte er das zu teuer werdende Unterneh-

men abbrechen. Fast wäre das mit der Trojaausgrabung gesche-

hen, da sich lange keine befriedigenden Ergebnisse einstellten,

bis dann der sensationelle Goldfund, der sich heute in Moskau

befindet, gemacht wurde. Schliemanns Erfolge förderten Miss-

gunst und riefen Neider auf den Plan. Auch spätere Troiaausgrä-

ber wurden davon nicht verschont. Dass über Schliemann, der zu

seiner Zeit kein Unbekannter war, auch Witze gemacht wurden,

verwundert nicht. Eine Kostprobe gibt Witte in seinem Buch.

Die in der GEO-Reihe Bibliothek der Entdecker herausgebrach-

te Biographie Schliemanns wendet sich an ein breites historisch

und kulturgeschichtlich interessiertes Lesepublikum. Sie ist in

diesem Literatursegment seit langem das beste Buch, das über

den Trojaausgräber geschrieben wurde. Mehr noch, von der Ge-

staltung her und versehen mit einer Vielzahl an kenntnisreich

ausgewählten Illustrationen ist es auch ein sehr schönes Buch.

Prof. Dr. Armin Jähne

(Bernau b. Berlin)

Zur Schliemannbiographie von ReinhardWitte